„Knüppel oder GBL“

„Knüppel oder GBL“

BGH, Beschl. v. 08.10.2024 – Az. 5 StR 382/24

 

Sachverhalt

Der Angeklagte kannte die Lebensgefährtin der Nebenklägerin aus der sogenannten Swinger-Szene, wobei seit spätestens 2018 oder 2019 keine sexuellen Kontakte mehr zwischen ihnen bestanden. Im August 2022 übernachteten die Nebenklägerin und ihre Freundin beim Angeklagten und dessen Verlobter anlässlich eines in der Nähe stattfindenden Konzerts. Ursprünglich war ein Austausch sexueller Handlungen nicht vorgesehen.

 

Im Laufe des Abends entschloss sich der Angeklagte jedoch, der bereits stark alkoholisierten Nebenklägerin sowie seiner Verlobten heimlich Gamma-Butyrolacton (GBL) zu verabreichen. Er wollte die Frauen sexuell enthemmen, um mit ihnen sexuelle Handlungen zu vollziehen und sich an deren gegenseitigen Handlungen sexuell zu erregen. Zu diesem Zweck tropfte er das GBL mit einer Pipette in ein alkoholfreies Getränk, das die Nebenklägerin ahnungslos zu sich nahm. Ein weiteres Getränk, ebenfalls mit GBL versetzt, gab er höchstwahrscheinlich auch seiner Verlobten, die es ebenfalls trank. Der Angeklagte war sich bewusst, dass die Verabreichung der Substanz in Verbindung mit Alkohol die Frauen bis zur Bewusstlosigkeit bringen und sie daran hindern konnte, sich gegen etwaige Handlungen zu wehren. Zudem war ihm klar, dass dies erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer potenziellen Todesgefahr mit sich bringen konnte.

 

Das GBL, das im Körper zu Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB, bekannt als „Liquid Ecstasy“), umgewandelt wird, führte zu der beabsichtigten Wirkung. Die Nebenklägerin, sonst eher verschlossen, begann mit der Verlobten des Angeklagten ausgelassen zu tanzen. Im weiteren Verlauf entkleideten sich die beiden Frauen gegenseitig, legten sich auf eine Couch und küssten sich. Der Angeklagte trat schließlich hinzu, küsste die Nebenklägerin und berührte sie an ihrer mit einem BH bedeckten Brust und über ihrer mit einem Slip bedeckten Vulva. Er war sich dessen bewusst, dass die Nebenklägerin aufgrund der Wirkung des GBL weder einen eigenen Willen bilden noch äußern konnte und dass sie sich ohne die Droge niemals auf ihn eingelassen hätte.

 

Nach Abschluss der sexuellen Handlungen war die Nebenklägerin zunächst nicht auffindbar. Sie wurde später im Garten liegend, schlafend, kaum ansprechbar und nur mit einem durchnässten Bademantel bekleidet vorgefunden. Aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit bestand das Risiko, dass sie durch das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Einatmen von Erbrochenem ersticken könnte.

 

Entscheidung

 

  1. Die Verurteilung nach § 177 I, II Nr.1, V Nr.1, VIII Nr.1 StGB hat aufgrund der Feststellungen keinen Bestand.
  2. Bei dem GBL handelt es sich nicht um ein gefährliches Werkzeug im Sinne der Norm.

 

 

 

 

Bedeutung für die Klausur

 

Auch, wenn es in der Entscheidung um den Tatbestand des § 177 StGB, also um eine Sexualstraftat geht, sind die Merkmale der Norm parallel zu denen, des § 224 StGB gefasst. Mithin kann eine Auslegung der Begriffe anhand des § 224 StGB erfolgen.

 

1. Zunächst ist festzuhalten, dass der BGH in diesem Fall durchaus § 177 I und II Nr.1 StGB als verwirklicht ansieht. Dieser Tatbestand liegt unproblematisch vor.

 

2. Auch stellt das heimliche Verabreichen der Tropfen Gewalt iSd § 177 V Nr.1 StGB dar.

 

3. Die Tropfen sollen für sich genommen aber noch kein Werkzeug darstellen, § 177 VIII Nr.1 Alt.2 StGB.

 

Ein Werkzeug ist ein für bestimmte Zwecke geformter Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird. Unter einem Gegenstand versteht man gemeinhin nur feste Körper. Die GBL Tropfen sind aber flüssig. Würde man sie als Werkzeug einordnen, würde dies gegen Art. 103 II GG verstoßen.

 

Hierfür spricht auch das System der Norm: genau wie bei § 250 II Nr.1 StGB, zu dem sich der BGH bereits verhalten hat, liegt dann kein Werkzeug vor, wenn das Mittel erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper wirkt. § 250 II Nr.1 StGB ist nach dem Willen des Gesetzgebers, genau wie § 177 StGB an § 224 StGB orientiert.

 

Die Pipette, mit der die Tropfen in das Glas getropft wurden, kann ebenso kein Werkzeug darstellen, auch wenn sie ein körperlicher Gegenstand ist. Ein Werkzeug ist gefährlich, wenn es nach seiner Art und seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen. Der Gegenstand, der ein gefährliches Werkzeug sein soll, muss unmittelbar auf den Körper einwirken. Die Pipette hat aber keinen unmittelbaren Kontakt mit dem Körper des Opfers.

 

4.  Eine weitere Option, die der BGH bespricht ist, ob § 224 I Nr.2 StGB lex speciales zu § 224 I Nr.1 StGB, also der „Beibringung von Gift“ darstellt. Diese Erwägung könnten dann auf § 177 StGB übertragen werden und eine andere Bewertung des Tatbestandes herbeiführen, der selbst kein Pendant zu § 224 I Nr.1 StGB auflistet.

 

Für eine solche Auffassung spricht, dass bei der Verwendung von Flüssigkeiten, Gasen oder Strahlen, die durch einen Gegenstand auf den Körper gerichtet werden, jedenfalls beide Tatbestände erfüllt werden könnten. Auch der Gleichlauf in der Behandlung von § 224 StGB und § 177 StGB nach dem gesetzgeberischen Willen spricht hierfür. Eine „Lücke“ in § 177 StGB müsste durch die extensive Auslegung des Werkzeugbegriffes geschlossen werden.

 

Dagegen spricht allerdings, dass Spezialität nur dann vorliegt, wenn der Tatbestand alle Merkmale des generellen Tatbestandes in sich aufnimmt und modifiziert oder erweitert. Das ist schon im Hinblick auf den Wortlaut nicht der Fall. Auch historisch wurde der § 224 I Nr.1 StGB im Rahmen des 6. StrRG als Ersatz für den § 229 StGB aF die „Vergiftung“ eingeführt. Dieser soll vielmehr mit eigenem Regelungsgehalt in § 224 StGB aufgehen und nicht einen „Unterfall“ von § 224 I Nr.2 StGB darstellen.

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