
Koks und Fensterstürze BGH, Urteil. v. 05.09.2024 – Az. 6 StR 340/24
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Sachverhalt
Nach den Feststellungen verbrachten der Angeklagte T, der Zeuge Z, der spätere Geschädigte N und der Zeuge Ny im November 2013 die Nacht gemeinsam in der im zweiten Obergeschoss gelegenen Wohnung Nys. Die Stimmung war infolge Alkohol- und Kokainkonsums gelöst. Sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge Z fühlten sich zu dem wegen transsexueller Neigungen als Frau auftretenden Ny hingezogen, der ihnen als attraktive Frau erschien. Als der eifersüchtige homosexuelle Geschädigte darauf hinwies, dass es sich bei seinem Freund Ny um einen Mann handele, geriet der Angeklagte in heftige Wut, ergriff den ihm körperlich unterlegenen Geschädigten an dessen Hemd, schob ihn in Richtung des geöffneten Fensters und stieß ihn heftig gegen den nicht vollständig herabgelassenen Rollladen. Infolge der Wucht des Aufpralls brach der Rollladen einseitig aus der Führungsschiene, und der Geschädigte stürzte mehr als sechs Meter hinab auf den Gehweg, wo er mit dem Kopf aufschlug. Er erlitt unter anderem schwere und konkret lebensgefährliche Kopfverletzungen. Infolgedessen kann er nur noch eingeschränkt sprechen und laufen, ist seither erwerbsunfähig und bei der Bewältigung seines Alltags dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen.
Der Angeklagte wollte den Geschädigten durch den Stoß aus dem Fenster verletzen, um ihn auf diese Weise für die Täuschung über das Geschlecht Nys und dessen vorhergehende Annäherungsversuche ihm – dem Angeklagten – gegenüber zu bestrafen. Ihm war aber auch bewusst, dass der Geschädigte einen Sturz aus dem zweiten Stock mit großer Wahrscheinlichkeit nicht oder nur mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen überleben würde, was er jedoch billigend in Kauf nahm.
Das Landgericht verurteilte T wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Hiergegen wendet sich T im Wege der Revision.
Entscheidung
- Die Revision hat Erfolg.
- Die Begründung des Landgerichts zur Herleitung eines Tatvorsatzes genügen nicht den Anforderungen, die an die Wertung für das Wissens- und voluntatives Element des Vorsatzes zu stellen sind.
Bedeutung für die Klausur
Der BGH verhält sich selten zu vorsatztheoretischen Fragen. Allerdings genügt es ihm offenkundig nicht, wenn in pauschaler Art und Weise aufgrund der objektiven Gefahr und Kenntnis dieser objektiven Gefahr seitens des Täters auf dolus eventualis geschlossen wird.
1. Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen getrennt voneinander geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen, wobei bei der Prüfung neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung und der konkreten Angriffsweise des Täters auch seine psychische Verfassung bei Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (zit. Urteil).
2. Der BGH erkennt an, dass das Instanzgericht sowohl die Gefährlichkeit der Handlung, als auch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts in die Gesamtschau hat einfließen lassen. Diese Umstände alleine reichen aber für eine Feststellung am Einzelfall nicht aus.
3. Insbesondere bei spontanen, unüberlegt oder in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus der Kenntnis der Gefahr des möglichen Todeseintritts nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das voluntative Vorsatzelement gegeben ist (zit. Urteil).
4. Dass der Täter hier aus dem Motiv handelt, das Opfer wegen der Annäherungsversuche und der vermeintlichen Täuschung zu bestrafen, ist für die Feststellung eines dolus eventualis von Bedeutung, weil ein Täter mit bedingtem Tötungsvorsatz regelmäßig kein Tötungsmotiv als solches hat. Vielmehr muss der Täter den Erfolg nur billigend in Kauf nehmen, auch wenn er ein anderes Motiv verfolgt.
5. Dass sich in der Klausur Anlass bietet, so ausführlich auf den Vorsatz einzugehen ist eher selten. Werden die formelartigen Sätze „billigend in Kauf genommen“ oder „auf einen guten Ausgang vertraut“ verwendet, bietet sich kein Erörterungsanlass. Enthält der Sachverhalt allerdings ausführliche Darstellungen zu den individuellen Einsichten des Täters über die Motive und die individuelle Gefühlslage, bietet sich eine umfassendere Auseinandersetzung hat. Hier muss dann dezidiert zwischen den beiden Vorsatzelementen unterschieden werden und beides im Einzelfall festgestellt werden. Die objektiven Umstände bieten dabei den Anhaltspunkt als Indiz, um die Aufarbeitung einzuleiten und werden sodann durch die subjektiven Umstände ergänzt. Zu beachten ist, dass der Täter für dolus eventualis kein spezifisches Tötungsmotiv braucht. |