Minderbemittelt? - BGH, Urteil vom 22.08.2024 - Az. VII ZR 68/22

Minderbemittelt? - BGH, Urteil vom 22.08.2024 - Az. VII ZR 68/22

BGH, Urteil vom 22.08.2024 - Az. VII ZR 68/22

 

Sachverhalt

Die Klägerin V errichtete aufgrund eines Werkvertrages vom 10.12.2012 für die Beklagte K ein Wohnhaus. Die Abnahme erfolgte am 14.10.2013.

Die V erstellte am 21.02.2014 eine Schlussrechnung, aus der sie gegenüber K 102.100,37 € forderte.

Nachdem K diese Forderung nicht beglichen hatte, erhob die V Klage auf Zahlung. Die K erhob Widerklage und erklärte aufgrund mangelhaft umgesetzten Schallschutzes eine Minderung. Der Mangel an der baulichen Substanz stelle einen merkantilen Minderwert dar, der den Wert der des gebauten Hauses mindere.

Das Instanzgericht stellte indessen fest, dass der Schallschutz zwar mangelhaft umgesetzt war, sich hieraus aber kein merkantiler Minderwert ergibt. Die Minderung blieb somit erfolglos.

Die Beklagte K stellte daraufhin die Widerklage auf Zahlung eines Vorschusses iHv 20.000 EUR, zur Ermöglichung einer Selbstvornahme, um. Diesem Begehren gab das Berufungsgericht sodann iHv 16.730,17 € statt. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision zum BGH.

 

Entscheidung

 

  1. Die Revision hat keinen Erfolg.
  2. Die Erklärte Minderung kann auch später noch zu einem anderen Rechtsmittel wegen der Mangelhaftigkeit eines Werkes umgestellt werden, solange es sich nicht um Rücktritt oder einen Nacherfüllungsanspruch handelt.

 

Bedeutung für die Klausur

 

Die Minderung dürfte den meisten Studenten aus dem Mietrecht bekannt sein. Indessen darf nicht übersehen werden, dass sie eine ebenso große Rolle außerhalb der Dauerschuldverhältnisse spielt. Hier tritt sie neben die bekannten Rechtsmittel des Gläubigers und kann im Kaufrecht und im Werkrecht vorkommen (§§ 437, 634 BGB).

Zweck der Minderung ist stets, dass der Erwerber der Sache die Sache behält. Der durch den Mangel an der Sache entstehende merkantile Minderwert ergibt sich aber aus der Differenz zwischen der geschuldeten Leistung und der tatsächlich erbrachten Leistung. Der Erwerber soll hierfür über die Minderung seiner Verpflichtung (idR zur Zahlung) einen Ausgleich erlangen. Merke: der Schutzzweck der Minderung ist auf die Wiederherstellung des Äquivalenzinteresses gerichtet, obwohl die Sache in mangelhaftem Zustand behalten wird. 

 

Im Hinblick auf die Verwirkung der Mängelrechte, durch Geltendmachung eines derselben, muss man allerdings Vorsicht walten lassen. Klassisches Beispiel für eine solche Konkurrenz stellt der Rücktritt und die Minderung dar: § 437 Nr. 2 BGB stellt klar, dass entweder ein Rücktritt oder eine Minderung möglich ist. Betrachtet man den Telos der Rechtsinstitute, ergibt das Sinn. Während beim Rücktritt die jeweils gewährten Leistungen rückabgewickelt werden, behält der Gläubiger bei einer Minderung die Sache, seine eigene Leistungspflicht mindert sich aber um den Betrag des Minderwertes der Sache durch den Mangel.

Ebenso ist die Geltendmachung eines großen Schadenersatzes statt der Leistung nach der Minderung ausgeschlossen. Die Wirkung des großen Schadenersatzes ist in der Rechtsfolge die Gleiche wie die des Rücktritts: § 281 V BGB ordnet an, dass in diesem Fall der Schuldner des Schadenersatzes zur Rückforderung der Leistung über die §§ 346 - 348 BGB berechtigt ist. Indessen kann der kleine Schadenersatz statt der Leistung auch neben der Minderung geltend gemacht werden. Der kleine Schadenersatz statt der Leistung richtet sich nicht nach dem Behalten der Sache, sondern nach dem Verbleib eines restlichen Schadens durch die Pflichtverletzung. Selbstverständlich kann neben der Minderung auch der Schadenersatz neben der Leistung gefordert werden (BGH Urt. v. 09.05.2018 Az. VIII ZR26/17).

 

Ebenso verhält es sich, wenn der Gläubiger die Minderung erklärt hat, gegenüber einem etwaigen Nacherfüllungsanspruch. Der Gläubiger hat gerade erklärt, dass er die Sache in dem mangelhaften Zustand behalten will. Eine Nacherfüllung ist aber gerade auf die Beseitigung eines Mangels ausgerichtet. In der Klausur werden, wenn die Minderung erklärt wurde, zunächst die Voraussetzungen des Rücktritts geprüft werden müssen, § 441 I BGB „Statt zurückzutreten […]“. Hier ist Voraussetzung, dass der Erwerber der Sache idR zunächst eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben muss. Das heißt, er hat zunächst erfolglos Nacherfüllung verlangt und infolge der ausgebliebenen Nacherfüllung gemindert (Zwei Pflichtverletzungen!). Dass die Nacherfüllung sodann durch die Minderung ausgeschlossen ist, ist logische Konsequenz, sie wurde ja bereits erfolglos verlangt. Im hiesigen Fall lagen die Voraussetzungen der Minderung nicht vor, weil kein Minderwert festgestellt werden konnte. Der Beklagte K hat aber auch nicht auf Nacherfüllung, sondern auf Vorschuss zur Selbstvornahme geklagt. Wie sich aus § 637 BGB ergibt, ist das Verlangen der Nacherfüllung auch für die Selbstvornahme nötig. Es ist also davon auszugehen, dass der Kläger dies getan hat.

 

Die abstrakten Wertungen der Institute lässt sich universell auf die kaufrechtlichen, wie die werkvertraglichen Mängelrechte anwenden. Im Werkvertrag wird das „Bündel“ der Mängelrechte aber um das Institut der „Selbstvornahme“ in § 634 Nr.2 BGB ergänzt. Die Selbstvornahme ermöglicht es dem Gläubiger den Mangel einer Sache selber zu beseitigen und hierfür Ersatz vom Schuldner zu verlangen.

Da der Gläubiger häufig nicht selbst in der Lage ist den Mangel zu beseitigen, wird er sich eines Dritten bedienen, den er entsprechend vergüten muss. Damit der Gläubiger keiner „Vorschusspflicht“ ausgesetzt wird, kann er nach § 637 I BGB den Vorschuss vom Schuldner verlangen, der notwendig ist, um den Mangel im Wege der „Selbstvornahme“ durch einen Dritten beseitigen zu lassen.

 

Dass zunächst Minderung und später dann Selbstvornahme geltend gemacht werden kann, ergibt sich aus den verschiedenen Konstellationen: eine Sache kann vertraglich Mangelhaft sein (Recht auf Nacherfüllung, Recht auf Selbstvornahme), aber (so wie hier) keinen Wertverlust erleiden. Das Gesetz sieht aber gerade eine möglichst breite Bündelung von Ansprüchen zugunsten des Erwerbers vor. Ein Beispiel:

Bestelle ich ein Haus, welches Cyan-Blau angemalt sein soll und es wird mir stattdessen Baby-Blau angemalt, liegt ein Mangel vor, der mich zur Nacherfüllung und ggf. zur Selbstvornahme berechtigt. Auf den Marktwert des Hauses wird es freilich keine Auswirkung haben, ob es nun Cyan- oder Baby-Blau angemalt ist. Ausschlaggebend für die Berechnung der Minderung ist aber der objektive Verkehrswert der Sache. Ist dieser nicht durch den Mangel betroffen, ist die Minderung auch nicht erfolgreich.

 

 

 

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